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LITERATUR
Buch-Veröffentlichungen (Auswahl): Gemeindepraxis (und andere Lebens-Praxen) im Licht von Robert Kegans Konzept der haltenden Kultur, Hamburg 1997
Die Sache mit den Haltenden Kulturen nach Robert Kegan Robert Kegans Theorie der Entwicklungsstufen des Selbst beschreibt eine Folge von ´natürlichen´ Umgebungen, die das ‚Lebensprojekt’ des Einzelnen, Lebensabschnitt für Lebensabschnitt, begleiten und die jeweils im individuellen Entwicklungsprozess von einer nachfolgenden Spielart psychosozialer Umwelt abgelöst werden. Diese psycho-sozial-kulturellen Umwelten nennt Kegan „cultures of embeddedness“ - zu deutsch: einbindende bzw. haltende Kulturen. Es handelt sich um
- die mütterliche Kultur im pränatalen Lebensabschnitt und beim Säugling (Term für die entsprechende Entwicklungsphase: „Einverleibendes Selbst“) - die elterliche Kultur beim Kleinkind („impulsives Selbst“) - die rollenanerkennenden Kulturen von Familie, Schule und Altersgenossen beim Schulkind („souveränes Selbst“) - die Kultur der Wechselseitigkeit, Freundschaft und zwischenmenschlichen Partnerschaft in Eins-zu-eins-Beziehungen bei Jugendlichen („zwischenmenschliches Selbst“) - die Kultur der Selbstgestaltung in öffentlichen Institutionen bei jungen Erwachsenen (institutionelles Selbst“) und - die Kultur der Intimität in Liebesbeziehungen und Erwerbs- Arbeitsverhältnissen bei Erwachsenen im mittleren Lebensalter („überindividuelles Selbst“ ),
- alles von Kegan so genannte „cultures of embeddedness“ - Eingebettetsein in haltende bzw. einbindende psychosoziale Umgebungen oder Umwelten. Der Term “Kultur“ steht hier nicht für bildungsbürgerlichen Kunstbetrieb oder vom Niveau-Milieu besetzte Premium-Claims, sondern ist sozial-ökologisch (präziser: psycho-sozial-ökologisch) gedacht wie bei Uri Bronfenbrenner - vgl. z.B. auch „Obst-Kulturen“ agrarwirtschaftlich für Obst-Anbau. Auf den ersten Entwicklungsstufen eines Menschen ist haltende Umwelt eher biologisch geprägt (Situation in utero; und Säuglings-Stadium); mit zunehmendem Lebensalter wird die psychosoziale Akzentuierung der haltenden Umgebungen immer deutlicher. Haltende Umgebungen nach Kegan haben den Charakter von Milieus oder Ambientes und in diesem Sinne von „Kulturen“. Sie nähren und tragen den Einzelnen und stützen ihn emotional. M.a.W.: Es handelt sich um ein Ensemble von Funktionen, nämlich dem betreffenden Menschen (A) sicheren Halt zu bieten, (B) ihn zu gegebener Zeit auch loszulassen, und dann (nicht zu verschwinden, sondern) (C) in der Nähe zu bleiben. So kann der Einzelne „in der Gemeinschaft überleben“.
Die Bedeutung der haltenden Umgebungen für das Individuum lässt sich daran ermessen, dass ein Mensch auf jeder Entwicklungsstufe seine ihn einbettende Kultur geradezu „ist“ - nicht nur mit ihr verwoben, sondern mit ihr identisch. Und zwar ohne die Chance, sich von ihr zu unterscheiden so lange, bis er Entwicklungsprozess aus dem gerade erreichten inneren Gleichgewichts-Haushalt herausführt und dem Übergang in Richtung auf eine unweigerlich folgende Entwicklungs- bzw. neue Gleichgewichts-Stufe zustrebt. D.h. die den emotionalen Haushalt im Gleichgewicht haltenden psychosozialen Rahmenbedingungen sind so viel wie „das eigene Selbst“. Bei diesem Gleichgewicht geht es um die innere Balance zwischen Ich und Umwelt während des betreffenden Lebensabschnitts. Dabei ist für die gesamte Entwicklung der Person die Situation des Gehaltenwerdens kennzeichnend, eines „Zustands des Eingebundenseins … in jeder Phase unserer Lebensgeschichte“. Als für die lebensdienliche Qualität haltender Kulturen mit entscheidend gilt: Dass eine Funktion mit der anderen abwechselt: Sicheren Halt zu bieten, ist allein und auf die Dauer nicht nur ‚zu wenig’, sondern wäre als beharrende Mono-Kultur ein Fiasko für die Persönlichkeits-Entwicklung. Loslassen, Freigeben und Ablösung sind danach und daneben dem Leben „verordnet“. Aber auch mit Loslassen und freigelassen werden allein wäre es bei der Lebensreise nicht getan. Die dritte Funktion einbindender Kultur „besteht darin, während der Phase des Übergangs und der Neuorganisation des Gleichgewichts in der Nähe zu bleiben.“ Die Entwicklungs- und Gleichgewichtsstufen, die unsereiner im Lauf seines Lebens erreicht und Mal für Mal hinter sich läßt, sind das eine - daneben verdienen die Übergangsphasen Beachtung, jene krisenförmigen Stadien, in denen wir „aus dem Gleichgewicht“ des alten Selbst gebracht werden, in dem wir uns vorher mehr oder weniger gut aufgehoben fühlten – Übergänge, in denen das neue Gleichgewicht, die uns bevorstehende (noch unbekannte und daher meist nicht ganz geheuer) haltende Umwelt noch nicht erreicht ist. Es gibt zwar Übergangshilfen, welche die Angst vor dem Sich-Verlieren in der terra incognita des Neuen mildern (das Schnuffeltuch für den Säugling am Übergang zum Kleinkind; den phantasierten Freund bzw. die phantasierte Freundin für das Kleinkind in der Passage zum Kindergarten- oder Schulkind; den realen Freund/die reale Freundin beim Übergang vom Schulkind- zum Jugendalter usf.). Aber „leicht“ werden die Verabschiedungen von der jeweils bisher haltenden Umgebung niemals sein, wenn es wieder einmal heißt „Morgen muss ich fort von hier“ - aus dieser mich eine Zeitlang haltenden Kultur . Zwei Leit-Begriffe sind für Kegans Konzept herausragend wichtig: „Bedeutung“ und „Gemeinschaft“. a) Ein Mensch ist vor allem „bedeutung-bildender Organismus“. „Was ein Organismus macht …, ist organisieren, und was er organisiert, ist im Falle des menschlichen Organismus’ Bedeutung“ Anders gesagt: „Was wir vor allem mit dem, was uns begegnet, machen, ist es zu organisieren. Wir geben ihm Sinn. … Menschsein heißt Bedeutung schaffen.“ – Und weiter: „So verstanden, ist „Be-deutung“ der grundlegendste Vorgang im Menschen, ein Vorgang, der auf nichts weiter zurückführbar ist. …Bedeutung haben wir nur dann, wenn wir von anderen anerkannt werden. Keine Bedeutung haben heißt … völlig einsam sein. Auch wenn wir wohlgenährt … und körperlich gesund sind, können wir dennoch zugrunde gehen, wenn wir nichts ‚bedeuten’“. b) Durch den theoretischen Ansatz zieht sich ferner wie ein Roter Faden ein auf das Datum der ‚sozietären Struktur’ (E. Jüngel) des Menschseins gegründetes Plädoyer für die lebensbedeutsame Wichtigkeit psycho-sozialer Beziehungen - und d.h. vor allem: von ‚Gemeinschaft’.“ „Persönlichkeitsentwicklung findet im Rahmen der Interaktion von Organismus und Umwelt statt. Das Wesen der Ich-Aktivität ist der Aufbau von Objektbeziehungen.“ Sie beginnt „sofort mit der Geburt“ und dauert ein Leben lang. Grundsätzlich gilt: „Es gibt niemals nur ein Individuum; … der Mensch ist mehr als ein Individuum. … (Er) ist ‚eigenständig’ und ‚eingebunden’“. Daraus folgt u.a.: „Langfristige Beziehungen und ein Leben in einer Gemeinschaft von relativer Dauer können zu entscheidenden Bedingungen werden, wenn wir uns nicht verlieren wollen, wenn es uns gelingen soll, uns wieder zu finden.“
Die „wichtigen Anderen“ und der Eine letztgültig Wichtige Andere Nach G. H. Mead entwickelt sich Identität in dauerhaften, verlässlichen Begegnungen mit - und Beziehungen zu - lebensbedeutsam „wichtigen Anderen“ - im unterkühlten Wissenschafts-Sprech so genannte (Dauer)-“Bezugspersonen“. Gemeint sind speziell Eltern, Geschwister, Lebenspartner; aber auch Freunde und Freundinnen, Kolleginnen, Kollegen und Vorgesetzte können zu Wichtigen Anderen avancieren. Das Gesamt-Bild des Ensembles Wichtiger Anderer gestaltet sich, allmählich gebündelt, aus zum Strukturprinzip: Der ‚generalisierte’ oder auch ‚transzendente Andere’ wird Partner des‚ inneren Dialogs’ im Rahmen sozialer Interaktion und Kommunikation des Einzelnen. Die lebensgeschichtlich wichtigen Anderen können also Zeichen und Gleichnis für den Einen schlechthin Wichtigen Anderen sein. In Offenbarungs-Religionen wird dieser bezeugt und angerufen als der Ewige, der Höchste, als Elohim, Allah, Gott oder was es an Wort-Zeichen und Namen-Symbolen für den Einen schlechthin Wichtigen Anderen sonst noch geben mag.
So weit die psychologisch-anthropologische Sicht auf die „Sache mit Gott“ (H. Zahrnt). Mit ihr konkurrieren weitere, andere Zugänge und Sichtweisen. Vielleicht konvergieren sie auch. Zum Beispiel die biblisch-theologische Sicht der Dinge. Ihr zufolge gibt der Ewige sich vielfältig als Schenkender zu erfahren (E. Jüngel) - und zwar außer in Begegnungen mit wichtigen Anderen, mit Heiligen und Märtyrern: in heilenden Worten heiliger Schriften, in Gottesdiensten und Liturgien, im überwältigend großartigen Kosmos - in allem was lebt. Kurz: Im Leben überhaupt..
Fazit: Kegans Theorem der Haltenden Kultur bewährt sich bei ihrer Anwendung auf das Verstehen meiner selbst und anderer Menschen. Es öffnet auch ein Fenster für den Blick auf unsere Stellung im Kosmos und zugleich für die Transparenz der (psychologisch-anthropologischen) Wirklichkeit, die Transzendentes durchscheinen läßt. Beispielsweise.„Bedeutung“ zu haben, beruht auf Begegnungs-Geschehen zwischen Ich-Aktivität und mir Widerfahrendem; siehe das Phänomen der„Liebe“ …
Bleibt zu prüfen: Man könnte meinen, seit 1982, als Kegans „The Evolving Self“ erschien, sei in der Hirnforschung so viel ‚passiert’ (für den deutschen Sprachraum repräsentativ: die Arbeiten von Gerald Hüther), daß die Sache mit den Haltenden Kulturen inzwischen ‚überholt’ sei. - Nichts da. „It works“ (s.o.)! - Wir kennen inzwischen beeindruckend viele neurowissenschaftliche Details über Neuronen, Synhapsen und biochemische Strukturen. Das trägt bei zur differenzierten Beschreibung und Erklärung der conditio humana, ist „anschlußfähig“ für „Haltende Kultur“ und beleuchtet deren psycho-physische Konstruktion. Die Gültigkeit von Kegans Konzept selbst ist nicht tangiert. __________________________________________________________
zum Evangelischen Buchpreis 2000 (Bernhard Schlink: Der Vorleser), hg. v. Deutschen Verband Evang.
Büchereien,
Göttingen 2000
(zus. m. Gerhard K. Schäfer), Detmold 2006
Elementare Theologie für Helfende Berufe, Waltrop: Spenner 2006, ISBN 3-89991-060-5, Ppb. 333 S. € 18,00 (Direktbezug vom Verlag, vom Autor oder Bestellung über den Buchhandel)
Kurzcharakterisierung:
Verabschiedungen von vermeintlichem oder wirklichem Ballast haben wir auf der Baustelle „Christentum, Kirche, Theologie und Glaube“ inzwischen reichlich. Unentbehrlich ist daneben aber das Ankommen - Vergewisserung über die tragenden biblischen Grundlagen: Was sind die bleibend wichtigen Momente an den Symbolisierungen, durch die sich das christliche Format der Religion an Herz und Verstand, an den gelebten religiösen Stil und d.h. an die Praxis von Glaube und Frömmigkeit vermittelt?
Erinnerung an die Grundlagen und deren ohne besondere Voraussetzungen nachvollziehbare Darstellung - dafür ist Elementare Theologie da. In diesem Buch verwandelt sich ihre praktische Gestalt, in der sie beim „Beten und Tun des Gerechten“ (Bonhoeffer) auftritt, in reflektierende Formen: Darstellen, Berichten, Zusammenfassen, Fragen und – ungewohnt, aber lohnend - Bearbeiten von Aufgaben.
Der erste Teil bietet eine, nach Themenkreisen strukturierte, Einführung ins Zentrum biblisch gegründeter Theologie; der zweite einen Blick durch das offene Fenster der Werkstatt problemorientierter Theologie von heute. Den Roten Faden bilden drei, an der hebräischen Bibel aufgespürte, thematische Dimensionen: Befreiung, Orientierung (Martin Buber: „Weisung“) und Gemeinschaft.
Das Buch dient der Erschließung fundamentaler Wissensbestände von Religion und Religionsgeschichte, Philosophie, Ethik und Bibel für das Verständnis der Menschen am Beginn des 21. Jahrhunderts. Es ist speziell für Leserinnen und Leser aus Helfenden Berufen (MitarbeiterInnen in medizinischen, Gesundheits- und Pflegediensten, für Erzieherinnen und Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer – überhaupt für alle im Sozialwesen beruflich Tätigen) – konzipiert und zwar als persönliche Lektüre ebenso wie als Begleit-Medium für Studium und Austausch in Lerngruppen (Gemeinde, Hochschule, Aus-, Fort- und Weiterbildung). __________________________________________________________
- "Kapitalismuskrise"
Globale Kapitalismuskrise „revisited“:
(1) Verabschiedung des globalen Finanz- und Bankensystems (2) „Update“ und Lektüre-Vorschlag
(1) Peter Zudeick: Tschüss, ihr da oben. Vom baldigen Ende des Kapitalismus, Westend-Verlag Frankfurt a.M. 2009, K lappbroschur, 240 S., € 16,95 ISBN 978-3-938060-30-8 - als Buchbesprechung erschienen in: CuS 62(2009):4, 65-68.
Wahljahr 2009. Die Kandidatin fürs Bundespräsidentenamt befürchtet soziale Unruhen. Der DGB-Chef auch. Der SPD-Vorsitzende plädiert auf eine, dem Ereignis angemessene, Neuerarbeitung der Verfassung für das seit 20 Jahren vereinte Deutschland; Christian Führer, Pfarrer im Unruhestand von St. Nicolai Leipzig - der mit den Montags-Friedensgebeten - setzt auf Ergänzung der friedlichen ostdeutschen Revolution von ´89 um die noch ausstehende zweite Hälfte. Das ist die eine Seite. Die andere mit den üblichen Verdächtigen und am „Weiter so“ Interessierten redet dagegen an. Das alles im Kontext der globalen Finanz-, Banken- und Wirtschaftskrise. Es riecht von ferne nach Systemwechsel. Manche haben Angst davor, andere denken: Wann, wenn nicht jetzt?! Der Kairos ist ja da. Zugleich überzieht Verunsicherung das Land. Nicht nur im Heer der von Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit, Hatz IV und anderen Plagen Betroffenen und Bedrohten. Nein, „Die Angst kriecht die Bürotürme hinauf“ (Stefan Hradil 2006; vgl. Zudeick 45-48; bes. 46. 229f.). Die da oben drinsitzen – eben denen gilt die bei Zudeick Buchtitel gewordene Grußformel. Ob sie sich zur Lektüre hinreißen ließen? Die sei allen empfohlen, die sich - jenseits von Agitation, Propaganda, Wut, Desinformation oder Hetze - eine Hilfe zum Durchblicken und Standpunkt-Finden gönnen möchten. Und die es nicht stört, bei er Lektüre auch noch gut unterhalten zu werden. Was freie Journalisten können, können eben nur sie. So einer wie Peter Zudeick. Anders, als es der flockige Titel vielleicht befürchten lässt, betreibt sein Ausblick auf das Ende der bisher herrschenden, seit Ende ´08 völlig in Schieflage geratenen, Verhältnisse seriöse Anamnese, Information, Diskussion und Vertiefung. Nicht ohne einen konstruktiven Ausblick. Das Buch überlässt seine LeserInnen am Ende nicht der Ratlosigkeit, sondern zeigt, die Aussage-Absichten knapp zusammenfassend, wohin und wie es gehen könnte, damit das gebeutelte Leben auf Dauer vielleicht doch noch besser wird.
„Anamnese“: Die Haupt-Katastrophen, die zum allgemeinen Vertrauensverlust auf den Finanzmärkten geführt haben und die Matadore dieses Desasters - alle Mann mit weißem Kragen, in Nadelstreifen, und wenn: dann nur mit Mühe noch nicht vorbestraft - diese ganze Riege von A wie Ackermann über Esser, Schrempp und von Pierer bis Z wie Zumwinkel - läßt Zudeick 13ff. erst einmal Revue passieren unter der hübschen Überschrift „Neulich im Café Größenwahn“. Ohne Empörungs- und Betroffenheits-Tremolo. Umso überzeugender die Bewertung der Vorgänge und ihrer Rahmenbedingungen: „Die Obszönität des Systems“ (29ff.). Das ist schon mal ein Ansatzpunkt, von dem aus lässt sich nach Konsequenzen fragen. Zuvor aber ist soziale und ökonomische Situationsanalyse angesagt: Die „Herstellung des Reichtums eines Teils dieser Welt“ hat die Armut der Armen auf dem ganzen Globus bewirkt. Seit Jahrzehnten ist das zu beobachten. Die Dependenztheorie, Ansatz der originären Theologie der Befreiung, beschreibt und erklärt den beschämenden Sachverhalt, seit der vor gut hundert Jahren geborene Dom Hélder Câmara und seine latino Bischofskollegen Ende der 1960er, Anfang der ´70er Jahre die „unbedingte Option für die Armen“ zum Programm machten. Zudeick führt als Gewährsmann Ulrich Beck mit dessen aktualisierten sozial-kritischen Analysen an (51 und öfter). Und erinnert an den internationalen Währungs-Fond-Wahnsinn („IWF“), die armen Länder global quasi zu erpressen durch das Junktim von (1) Öffnung ihrer Märkte und (2) Chance auf Millionen so genannter Entwicklungshilfe (52). „Information“: Bei der Lektüre wirst du sowohl dazulernen als auch Grundwissen wiederholen. Worüber Albertus Magnus 1250 seine Kölner Antrittsvorlesung gehalten hat (59), daß auch die Klassische griechische Philosophie die soziale Dimension der Gerechtigkeit lehrte - in Parallele übrigens zur biblischen Tora (zedaká/Gerechtigkeit als Fundament „Guten Lebens“ [„…auf dass du lange lebest und es dir wohl ergehe auf Erden; Dtn 5,16“]; 57f.).
Zum nützlichen Repetitorium von Schulwissensbeständen gehören u.a. Adam Smith´ Kunstmythos vom Markt, der den Wohlstand begründet („invisible hand“), die Karriere dieses Dogmas im marktradikalen Wirtschafts-Liberalismus (101ff.); die Erinnerung an die „Dreifaltigkeit des Marktes“ (Privatisierung, Deregulierung, Minimierung von Sozialausgaben), was Marx&Engels über Markt, Ausplünderung der Welt dachten und schrieben („präzise[n] Beschreibung der Globalisierung, die Marx und Engels im Kommunistischen Manifest abgeliefert haben“;153), die Würdigung des US-amerikanischen „Branchenführers“ der Sozialphilosophie, John Rawls, 70ff. (hierher hätte ein Hinweis auf die sozialpolitisch-kulturelle Strömung des „Communitarismus“ alias “Communitarianism“ [Charles Taylor, Michael Walzer u.a.] gehört).
Hier läuft aber keine Buch gewordene Infotainment-Show eines kundig-schlauen Publizisten; alles dient engagierter Reflexion in prekärer sozial-politischer Lage. - Hätten Sie’s gewußt: Die ins Gerede gekommene „Gier“ wird neuerdings, ähnlich wie „Neid“, schon mal als anthropologische Konstante beschrieben und pseudowissenschaftlich legitimiert mit Darwin, dem Theorem vom „homo oeconomicus“ (124ff.) sowie - sozio-biologisch - unseren „Genen“. Die müssen ja inzwischen für so gut wie alles herhalten (Kap. 10: Chicagoer Gangster: Die Gen-Maschine 129ff.). – Zudeick hält den Blick für andere Sichtweisen offen: Soziale Emotionen wie Freundschaft, Scham, Großzügigkeit dienen nämlich auch dem biologischen Erfolg der spezies homo sapiens sapiens, der seit Weltzeiten daran arbeitet, „ein auf Gegenseitigkeit beruhendes Gemeinschaftsleben, also eine verinnerlichte Moral …“ zu organisieren (148). - Kurz: Wie Zettel und Einschlag sind im Mittelteil des Bandes die Debatten-Stoffe von heute mit, schon länger zur Verfügung stehenden, Verständnis-Zugängen verwoben.
S.159 fällt das Stichwort „Demokratie-Alarm“. Keine Panik. Zudeick weiß und stellt dar, daß schon bei der „Erfindung“ der Sozialen Marktwirtschaft Anfang der 1960er Jahre durch den Kölner Volkswirtschaftslehrer Müller-Armack einigermaßen klar war: Wenn das ökonomische System erstmal rund läuft, dann mögen zwar die sakrosankten Worte des Grundgesetzes formal in Kraft bleiben, nämlich dass alle staatliche Gewalt vom Volk ausgehe. Faktisch werden aber Banken, Kapital und Wirtschaft regieren. Kapitalismus braucht keine Demokratie. „Nicht die Politik kontrolliert die Finanzjongleure, sondern die Großmuftis des Geldmarkts diktieren der Politik, was zu tun ist“ (159). Diese Bedingungen „herrschen inzwischen global, die Entdemokratisierung ist längst international. … Und bei den internationalen Institutionen haben wir es ohnehin mit demokratisch nicht legitimierten Organisationen zu tun“, siehe IWF, Weltbank, OECD, EU, G8 und wie sie alle heißen (161). „Zukunftsperspektive“: So ganz klar ist es natürlich auch bei Zudeick noch nicht, wie’s weitergeht. In der Postdemokratie muss jedenfalls, um den „autoritären Kapitalismus“ (162) abzulösen, statt ihn fortschreibend weiter zu entwickeln, ein Paradigmenwechsel her. Arbeitstitel: „Radikaler Humanismus“ (174ff.). Da wird der Wert der Arbeit neu verbindlich bestimmt. Genossenschaftliches Wirtschaften ist dann angesagt. Werte werden keine Derivate sein, ohne Entsprechung in real existierenden Produkten und Sachen. Die Betriebe der Gemeinwirtschaft vernetzen sich; Gerechtigkeit wird dann noch einmal neu buchstabiert; es läuft auf Teilen und Teilhabe hinaus. – Vielleicht gelingt’s ja doch noch: die Sache mit dem gewaltlosen Systemwechsel, Teil 2. Zur Vorbereitung erstmal Peter Zudeick lesen. Liest sich einfach Klasse. Und merke: Eine für soziale Marktwirtschaft in demokratischen Verhältnissen anschluss-fähige, mit ihr kompatible Wirtschaft braucht Regeln und Grenzen. Einfach weiter so wie gehabt wäre fatal, wenn nicht letal. –
(2) Und nun zum update.
„Tschüß“ ist schnell und leicht gesagt. Aber es dauert. Das Drama hat mehr Akte als nur den ersten mit Lehman Broth. & Co. in der Hauptrolle. Das war 2008/09ff. Im Zweiten Akt treten neben den üblichen Verdächtigen neue Protagonisten an die Rampe der Weltbühne: Griechenland, die EU mit ihren national(istisch)en Ökonomien, ihre Zentralbank und, nicht zu vergessen: Rating-Agenturen, meist bezeichnender Weise mit Sitz an US-amerikanischen Finanzplätzen. Bevor es in die „Theater-Pause“ geht, hier noch eine Lektüre-Empfehlung. Zu Peter Zudeicks Buch gewordener Verabschiedung des kapitalistischen Systems gibt es ein Update:
Wolfgang Hetzer: Finanzmafia. Wieso Banker und Banditen ohne Strafe davon kommen, Frankfurt a.M.: Westend-Verlag 2011
Obacht! Aktualisierte Ausgabe (ebenfalls 2011!) mit dem Untertitel:
„Wie Banker und Banditen unsere Demokratie gefährden.“
Der Band wird von Meinrad Heck in einem Buch-Dossier so vorgestellt: >Ein wortgewaltiges Buch rechnet mit mächtigen Bankern ab. Hinter der Finanzkrise stecken Systemkriminalität und eine „Finanzmafia“ aus Bankern und Banditen. Das schreibt kein durchgeknallter Kapitalismuskritiker, sondern der EU-Spitzenbeamte für Korruptionsbekämpfung. Freunde macht sich Wolfgang Hetzer damit nicht unbedingt< (Entnahme aus „Kontext: Wochenzeitung“ [taz-Beilage zum Wochenende] vom 11./12. Juni 2011, S. 2).
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„Glaubensverlust“ (Halbfas)? - Mag sein - Aber die ultimative Reformation kommt noch!
Pünktlich zur Deutschland-Visite des Papstes gab es von Hubertus Halbfas 2011 eine Art Abstract seines opus magnum, der Trilogie „Die Bibel“ (2001)- „Das Christentum“ (2004) - „Der Glaube“ (2010). Der Autor funkt SOS von dem und zugleich an das sinkende Kirchen-Schiff. Ein Not-Signal, nicht nur der römischen Fraktion der Christenheit zugedacht - bei den Evangelischen läuft ja eine „Luther-Dekade“ auf das Reformations-Jubiläum 2017 zu. Ihnen schreibt Halbfas - zurückhaltend, aber deutlich - ins Stammbuch: Die Reformation des 16. Jh.s war eine „Unvollendete“, schon im Ansatz hat sie nicht tief genug gegraben.
Ob nun Papst-Visite als Motiv oder ½ Jahrtausend Reformation – es geht um eine gründliche Abrechnung. Die können sich beide Konfessionskirchen „hinter den Spiegel stecken“. Die „Top-two“ der Thesen Halbfas’ - diesmal keine 95, zwei müssen reichen; das kann man sich auch besser merken - reklamieren folgendes:
(1) Auf dem Weg zur Kirche-Werdung hat die Christenheit „gleich damals“ den real existierenden Jesus der Evangelien mit seiner gelebten Reich-Gottes-Botschaft „vergessen“. Er geriet in den Schlagschatten des Gemeindegründers Paulus und seiner Deutungen des Geschicks Jesu, dessen Sendung und Hinterlassenschaft. Kaum, daß man „bei Paulus“, d.h. im Ensemble seiner Briefe, (außer Stücken aus dem AT wurden diese zuerst bei den Christen liturgisch gelesen und daher später kanonisch, lange vor den Evangelien!) - kaum also, daß man in seinen Briefen des geschichtlichen Wander-Rabbis noch ansichtig würde …; man denke: keine Generation nach Jesu Tod! Siehe auch im Credo das „Loch“ zwischen „geboren …“ und „gelitten …, gekreuzigt, gestorben und begraben“ - als ob dazwischen eigentlich nichts groß passiert wäre …
(2) Palästinensische Spuren der Jesus-Überlieferung sind in der hellenistischen Umwelt des imperium romanum nicht zum Zuge gekommen; sie hätten aber mehr Authentisches von Jesus zu bewahren gehabt. Der erwartete nämlich - so das berühmte Diktum Alfred Loisys von vor über 100 Jahren - das Reich Gottes; was dann aber kam, war die Kirche. - War das denn so schlimm? Halbfas: Bis zur Unkenntlichkeit hat der Neuplatonismus den bei Jesus gelegten Grund für den Paradigmenwechsel zur ganz neuen Lebensorientierung überbaut - philosophischer Überbau statt existentieller Basus! - So wurde aus der Nachfolgepraxis, in die Jesus die Seinen ruft, eine Doktrin (eine von Friedhelm Hengsbach übernommene, sehr treffende, Entgegensetzung). Für das Alltagsleben kompetente Menschen mit gesundem Verstand geraten unter die Fuchtel kirchlicher Machteliten. Mit der Folge, daß schließlich Obskurantismus und Superstition humane Liebe und Güte dominieren - der Gipfel ist ab Hoch-Mittelalter die römische Schreckens-Herrschaft über Geist, Seele und Leben ingestalt der so terroristischen wie fundamentalistischen Inquisition (Nachfolgeorganisationen: Hl. Officium; Glaubenskongregation mit dem langjährigen Vorsitzenden Josef Kardinal Ratzinger, jetzt Papst Benedikt XVI.).
Merke: Von diesen Fehlentwicklungen haben sich weder jemand Kompetentes seitens der Verantwortlichen in Rom noch die deutsche Reformation des 16.Jh.s, noch auch deren quasi-moderne, aufgeklärte, Theologie wirklich distanziert. Gut, mag sein, daß K.-P. Jörns mit seinem Aufruf zu „notwendigen Abschieden“ oder M. Kroeger mit seinem „fälligen Ruck in den Köpfen der Kirche“ (beides 2004) ähnlich liegen wie Halbfas; und klar: Die liberale protestantische Theologie zu Kaiser Wilhelms Zeiten bearbeitete Religions- und Dogmen-Geschichte mit HKM (historisch-kritischer Methodik) - das war’s aber auch schon; d.h. diese blieb im Kern folgenlos. (Gegen Albert Schweitzers grundstürzend kritische theologische Forschungserträge zum Beispiel haben sich seine Zunft und Kirche immunisiert.)
Man konnte ja den Missions-Doktor, Spezialisten für Orgelbau und Bach-Musik heraus hängen - das muß für Kulturprotestanten reichen …). Zurück zu Halbfas: So krass, unerbittlich deutlich wie von ihm hat es den Ruf „Christenheit, Kirche, Theologie! Achtung! - Alles zurück auf Start!“ noch nicht gegeben.
Wenn schon Reformationsgedenken (möchte man Halbfas fortschreiben) - dann als Impuls für wirklich gründliches Aufräumen: Jetzt aber richtig und: Keine Schonfrist…! Gleich geht es los… - Wenn das überhaupt noch geht angesichts der grassierenden Schwindsucht und Verdunstungsprozesse bei der Verbundenheit der Leute mit ihren Kirchen im europäischen Kultur-, d.h. Sprach-Raum. Flickschustern und hermeneutische Akrobatik sind jedenfalls nicht mehr drin. Wenn es denn noch dazu kommen kann, wird es ein Neubeginn sein, der diesmal den real existierenden Jesus nicht ausblendet. Glaube als Vertrauen auf Getragen- und Gehaltensein im geschenkten, kostbaren Leben - ja! Seit gestern aber ohne Überbau aus der Metaphysik! - Die ultimative Reformation erfindet ein grunderneuertes Christentum (Untertitel). Wie wird das aussehen?
1. „Das Modell ‚Pfarrgemeinde’ ist ablösbar.“ Priesterlosen Gemeinden - etwa vom Format „Basis-Gemeinde“ - gehört die Zukunft (104ff.). 2. Beten öffnet sich für Meditation; Liturgie gibt Momenten der Stille Raum. 3. Das Herrenmahl feiern wir, indem wir uns gegenseitig einladen zur Teilhabe unterschiedslos Aller an irdischen Lebensmitteln und himmlischen Verheißungen: Richtig zu essen und zu trinken gibt’s an einem ehrlichen Tisch (K. Barth) - Erinnerung an die Mahlgemeinschaft mit und bei dem geschichtlichen Jesus. 4. Statt steiler Christologie wird gelehrt und gelernt: In der sozialen und natürlichen Mitwelt gibt sich Er, der letztgültig wichtige Andere, wie ein guter Nachbar, Begleiter und Freund unter uns, als Liebender und Schenkender zu erfahren (mit Eberhard Jüngel, Huub Oosterhuis u.a.).
Zugestanden: Das kommt alles etwas spät. Der Häftling (später Märtyrer) Dietrich Bonhoeffer meinte - und das war 1944! - Was Christen „nach ´45“ bleibt, sei „Beten und Tun des Gerechten“. Im 21.Jahrhundert reformuliert: Mit Gottesdienst und Diakonie, diesen beiden praktischen Seiten der einen „Medaille“ namens „christlicher Glaube“, können, ja müssen Christen „punkten“. Es geht um die Lebenszuversicht, die von dem Mann aus Nazareth, seiner eigenen Religion und seiner Hinterlassenschaft angestiftet worden ist; die auf den Einen schlechthin Wichtigen Anderen setzt und dem Leben, der Welt und den Menschen dient mit Taten der Barmherzigkeit und Gerechtigkeit.
Lies: Hubertus Halbfas: Glaubensverlust. Warum sich das Christentum neu erfinden muß. Patmos: Ostfildern 2011, 125 S. € 9,90. ISBN 978-3-843-0100-9 Literarisches Umfeld i.A.: Matthias Kroeger: Im religiösen Umbruch der Welt - Der fällige Ruck in den Köpfen der Kirche, Stuttgart 2004 - Klaus-Peter Jörns: Notwendige Abschiede. Auf dem Weg zu einem glaubwürdigen Christentum, Gütersloh 2004 - Hartmut Meesmann: Zurück zum Kern, in: Publik-Forum 2011: 23, 38-40. |
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